Triage in Zeiten von Covid 19

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Ethische Dilemmata der Triage

Autor: Aljoscha Mayer


Auf einer wenig befahrenen Straße kommt es zu einem folgenreichen Unfall. Ein Bus kommt von der Fahrbahn ab und kracht gegen einen Baum. In ihm sitzen dreißig Schüler*innen und ihre Lehrer*innen auf dem Weg zum einen Schulausflug. In Folge des Unfalls werden fast alle Businsassen verletzt. Zufällig kommt ein Rettungswagen mit zwei Sanitäter*innen und einer Ärzt*in vorbei. Sie wissen, auch wenn sie sofort Unterstützung anfordern, wird die Anfahrt von suffizienten Rettungsmitteln längere Zeit in Anspruch nehmen.

Wie sollen sie die Versorgung der über dreißig Verletzten organisieren?

Bei dem beschriebenen Fall handelt es sich um einen sogenannten Massenanfall an Verletzten (MANV), bei dem die individuelle und gleichzeitige Versorgung der Patient*innen auf Grund von fehlenden Kapazitäten (noch) nicht möglich ist. In einem solchen Fall kommt die sogenannte „Triage“ zum Einsatz, ein spezialisiertes Verfahren zur Priorisierung medizinscher Hilfeleistungen. Dabei werden die Verletzten mit Hilfe so genannter Sichtungskriterien in 4 Gruppen eingeteilt:

Gruppe I/Rot – akute, vitale Bedrohung: Sofortbehandlung

Gruppe II/Gelb – schwer verletzt/erkrankt: aufgeschobene Behandlungsdringlichkeit

Gruppe III/Grün – leicht verletzt/erkrankt: verminderte Behandlungsdringlichkeit

Gruppe IV/Schwarz – ohne Überlebenschance: zunächst nachgeordnete Behandlungsdringlichkeit


Das Prinzip, dem die Triage dabei folgt, ist das der Dringlichkeit und der damit verbundenen Interpretation, was im konkreten Fall verschiedene ethische Fragen aufwirft:

Wird die Behandlung eines Patienten aus Gruppe I der Behandlung eines Patienten aus Gruppe II vorgezogen in dem Wissen, dass weitere Hilfe in Bälde eintreffen wird, entsteht aus ethischer Sicht kein tiefgreifender Konflikt. Einen nicht lebensbedrohlich verletzten/erkrankten Menschen eine kurze Zeit (eventuell auch unter Schmerzen) warten zu lassen, damit man einem anderen das Leben retten kann, scheint ein vergleichsweise geringes Opfer. Anders verhält es sich, wenn dem Betroffenen aus Gruppe II durch den Zeitverzug erhebliche Folgeschäden drohen.

Bei der Begründung, dass die Rettung von Leben schwerer wiegt als bleibende Schäden zu verhindern, handelt es sich um eine schadensbezogene Deutung, bei der man beispielsweise den Verlust von Gliedmaßen dem Verlust des Lebens unterordnen würde.

Solche Entscheidungen übersteigen die Alltagsmoral und die individuelle Entscheidungsfähigkeit und können aus ethischer Sicht niemandem, weder Patient*innen noch Mediziner*innen und schon gar nicht Menschen in Extremsituationen zugemutet werden.

Noch deutlicher wird der ethische Konflikt bei der Betrachtung der Gruppe IV. Dabei muss zunächst bemerkt werden, dass die Bezeichnung „ohne Überlebenschance“ missverständlich wirken kann. Bei Patient*innen dieser Kategorie handelt es sich nicht ausschließlich um Menschen, die sichere Todeszeichen (Leichenflecke, Leichenstarre) oder mit dem Leben unvereinbare Verletzungen zeigen und deren Behandlung somit „sinnlos“ ist. Vielmehr wird bei der Kategorisierung in Gruppe IV auch die jeweilige Gesamtsituation von Ort betrachtet. Wenn beispielsweise Ressourcen zur Behandlung am Unfallort überhaupt nicht oder nicht in ausreichender Menge vorhanden sind, muss eventuell ein Mensch, der bei hohem Mitteleinsatz gute Überlebenschancen hätte, in die Gruppe IV eingeordnet werden. Diesbezügliche Überlegungen in der Literatur beziehen sich oft auf „Rettung ohne unvernünftig hohen Einsatz von Mitteln“, wobei das angewendete Kriterium die Effizienz ist.

Die Frage, ob Effizienz als Kriterium ethisch erwünscht sein kann, lässt sich anhand folgenden Beispiels verdeutlichen: Ein großes Passagierschiff beginnt mitten auf dem offenen Ozean zu sinken und das maximale Tragegewicht der Rettungsbote reicht nicht aus, um alle Passagiere zu retten. Wäre es in einem solchen Fall vertretbar - entsprechend des oben genannten Effizienzkriteriums - die leichtgewichtigen Passagiere zuerst und die hochgewichtigen zuletzt einsteigen zu lassen? Selbstverständlich nicht.

Es bedarf anderer Kriterien, weshalb jemand auf seine Rettung verzichten muss, um bei anderem Einsatz der vorhandenen Ressourcen den Gesamtnutzen zu erhöhen.[1][2][3]


Der Ex-Ante-Konsens

Eine Lösung für Dilemmata dieser Art ist der sogenannte Ex-Ante-Konsens mit der Grundidee, solche ethische Fragen schon vor einer Katastrophe/ Schadensereignis zu beantworten. Dabei geht man davon aus, dass die Verteilung der Betroffenheit bei einem Unglück zufällig erfolgt, jeder also mit der gleichen Wahrscheinlichkeit Betroffene(r) sein kann. Daraus ergibt sich für die Gesellschaft der Anreiz, schon im Vorhinein eine Ressourcenverteilung zu bestimmen, die effizient ist und die individuelle, statistische Überlebenschance erhöht.[4]

Triage während der COVID-19 Pandemie

Dass im Fall der COVID-19 Pandemie nicht (ausschließlich) auf den Ex-Ante-Konsens zurückgegriffen werden kann, ergibt sich aus den unterschiedlichen Ausgangssituation: Die Triage geht grundsätzlich davon aus, dass man sich bei einem Massenanfall von Verletzten/Kranken einmalig einen Überblick über die Gesamtsituation verschaffen muss. Gemäß des Ex-Ante-Konsens werden dann die Ressourcen verteilt. Betroffene, die der Kategorie IV zugeordnet werden, können dann eventuell auf Grund tragischer Umstände nicht gerettet werden.

Was aber bedeutet die Triage bei einem stetigen Zufluss an Kranken (wie bei einer Pandemie)? Entweder wird die Frage nach der Gruppenzuordnung bei jedem Erkrankten neu gestellt und gegebenenfalls einem anderen, deren Prognose schlechter ist als die des neu hinzugekommenen aktiv Ressourcen entzogen, oder aber, alle nach Erreichen der Kapazitätsgrenzen neu hinzukommenden Fälle müssten in Gruppe IV eingeordnet werden.

Der Deutsche Ethikrat spricht in einer solchen Situation von der sogenannten Ex-Post-Konkurrenz.[5] Diese stellt aktuell Mediziner*innen weltweit vor hohe ethische Herausforderungen.

Im Folgenden sollen die Empfehlungen von einigen wichtigen Akteuren im zentraleuropäischen Raum kurz vorgestellt werden:


Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. (DIVI)

Beim Umgang mit COVID-19-Erkrankten in Situationen von Ressourcenknappheit empfiehlt die DIVI ein Verfahren der Priorisierung, in das ausdrücklich auch diejenigen Patient*innen einbezogen werden, bei denen therapeutische und intensivmedizinische Maßnahmen bereits eingeleitet wurden. Dabei mögliche Therapiezieländerungen unterliegen strengen Voraussetzungen, und Vorerkrankungen dürfen nur dann Teil des Priorisierungsprozesses sein, wenn sie unmittelbar mit dem Therapieerfolg in Zusammenhang gebracht werden können. Die Priorisierung richtet sich ausschließlich nach der individuellen medizinischen Prognose und darf nicht den Eindruck erwecken, als würde der Wert eines Menschen bewertet. Auch demographische Kriterien dürfen keine Rolle spielen.[6]

Bundesärztekammer (BÄK)

Auch die BÄK rät im Falle von Ressourcenknappheit zur Priorisierung, wobei betont wird, dass stets “einzelfallbezogene Entscheidungen nach dem Prinzip der Gerechtigkeit auf der Basis von transparenten sowie ethisch und medizinisch-fachlich begründeten Kriterien” getroffenen werden müssen. Besondere Erwähnung findet, dass sich die individuelle Erfolgsaussicht nicht aus Faktoren wie Vorerkrankung oder Behinderung ergibt. Entscheidungen anhand von Schemata oder Algorithmen werden ausdrücklich abgelehnt. In Bezug auf Therapiezieländerungen bei Ressourcenknappheit werden keine genauen Empfehlungen ausgesprochen.[7]

Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI)

Im Unterschied zu ihren deutschen Kolleg*innen beschäftigt sich die ÖGARI nur wenig mit dem Prozess der Priorisierung bei der intensivmedizinischen Behandlung von COVID-19 Patient*innen. Dafür werden konkrete Kriterien genannt, unter denen die Änderung des Therapieziels respektive die Neueinordnung eines/r Erkrankten in Gruppe IV möglich ist. Eine Beendigung der intensivmedizinischen Maßnahmen kann demnach in Betracht gezogen werden, wenn der/die Patient*in “nach bestmöglicher individueller Prognose auf unabsehbare Zeit von Intensivtherapie vital abhängig bleiben wird, während ein/e andere/r Patient*in – gemessen an den zu plausibilisierenden Kriterien für den Beginn einer Intensivtherapie – ein besseres Outcome zu erwarten hätte”.[8]

Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW)

Die SAMW empfiehlt, ähnlich wie ihre deutschen Kolleg*innen, im Fall der Ressourcenknappheit eine Priorisierung zwischen den Patient*innen durchzuführen. Dabei haben diejenigen Vorrang, „deren Prognose im Hinblick auf das Verlassen des Spitals mit Intensivbehandlung gut, ohne diese aber ungünstig ist; Patienten also, die am meisten von der Intensivbehandlung profitieren”. Ausdrücklich als Kriterium abgelehnt wird ein - gleich wie bemessener - “gesellschaftlicher Wert”. Im Gegensatz zu den deutschen und österreichischen Kolleg*innen wird aber das Alter in die Priorisierung miteinbezogen. In Bezug auf die Neuzuordnung eines bereits unter Therapie befindlichen Menschen in Gruppe IV formuliert die SAMW, dass so entschieden werden soll, dass “die größtmögliche Anzahl von Leben gerettet wird.”[9]

Belgian Society of Intensive Care Medicine (SIZ)

Auch die SIZ empfiehlt eine Priorisierung der Patient*innen, die im Fall von Ressourcenknappheit den Prinzipien der Triage folgen soll. In Verbindung mit weiteren Kriterien können dabei auch das Alter und ernste Vorerkrankungen als Indikatoren für den Beginn bzw. die Aufrechterhaltung von therapeutischen Maßnahmen einbezogen werden. Auf eine Neuzuordnung von Patient*innen in Gruppe IV bei mangelndem Therapieerfolg wird lediglich mit einem Hinweis auf die individuellen, immer wieder zu evaluierenden Krankheitsverläufe Bezug genommen. [10]

Methodik der Triage

Triage wird ebenfalls als Methode verstanden, die die Behandlung von Patienten in der Notaufnahme oder im Falle von Ressourcenknappheit und/oder zu hohe Patientenmenge organisiert. Zuerst werden die Gütekriterien der Methode charackterisiert. Demnächst werden in Deutschland zwei benutzte Triage Systeme, die im Alltag oder im Falle von Ressourcenknappheit benutzt werden, präsentiert. Zum Schluss wird die Triage per Telefon, die während der Coronakrise, wegen der überschreitende Patientenmenge benutzt wurde, vorgestellt.

Autor: Clothaire Hanania

Die Triagesysteme als Methodik

Bei der Triage, wie sie bei der Aufnahme im Krankenhaus Anwendung findet, handelt es sich um ein System, um die stetig hinzukommenden Patient*innen untereinander zu priorisieren und somit eine möglichst effektive aber auch patient*innenbezogene Behandlung sicherzustellen. Um das zu garantieren, muss das System gewissen Gültigkeitskriterien genügen. Diese sind in Validität und Reliabilität. Die Validität eines Triage System wird gemessen durch die Widerspiegelung der festgelegten Dringlichkeitsstufe mit der tatsächlichen Dringlichkeit (Twomey et al. 2007: S.477)[11]. Zur Überprüfung der Validität werden Die Marker der Raten der Krankenhausaufnahme, die Aufnahme auf Intensivstation, Sterblichkeitsraten und Ressourcenverwendung verwendet (Fernandes et al. 2005: 46)[12]. Damit die Messmethode eine gute Aussagekraft hat muss die Reliabilität oder Replizierbarkeit der Ergebnisse möglichst hoch sein (vgl. Fernandes und al. 2005 zitiert nach Christ und al. 2010: 893)[13]. „Reliabilität wird mit Hilfe der к-Statistik angegeben: Bei einem Zufallsergebnis ist к = 0, bei к = 1 liegt eine absolute Übereinstimmung zwischen ≥ 2 Messungen vor“ (ebd.)[14]. Eine sehr gute Reliabilität benötigt eine Übereinstimmung zwischen 0,8 bis 1 (ebd.).[15] In der klinischen Notfallmedizin muss es Triage Instrumente geben, die eine befriedigende bis sehr gute Validität und Reliabilität aufweisen. Die Fünfstufigen Triage-Instrumente sind am meisten verbreitet, weil sie gute Gültigkeitskriterien aufzeigen. Am besten erforscht und am weitesten verbreitet ist der „Australasian Triage Scale“, „Canadian Triage and Acuity Scale“, das „Manchester Triage System“ und der „Emergency Severity Index“ (Christ et al. 2010: 893). [16] Der Triage Prozess wird benutzt um zu entscheiden welcher Patient nicht für eine Behandlung warten kann (Fernandes et al. 2005: 39).[17] Der Patient muss also weniger warten um behandelt zu werden, je mehr es sich um einen Notfall handelt. Und im Gegenteil muss dann der Patient, der keine gefährliche oder schmerzhafte Verletzung aufweist, länger warten um behandelt zu werden. Die Triage bedeutet also eine gewisse Wartezeit für die Behandlung von Patienten Das Manchester Triage System (MTS) und der Emergency Severity Index (ESI) werden in Deutschland angewendet (Klinger und Dormann 2019: 589)[18]. Wir werden diese Beiden deswegen analysieren.

Zwei in Deutschland benutzte Triage Systeme

Das MTS und ESI "sind in Deutschland de facto die vorherrschenden Instrumente zur Ersteinschätzung in Notaufnahmen" (Hermann et al. 2017: 15)[19]. Deswegen bezieht sich die vertiefende Analyse auf diese beiden Ansätze.

Manchester Triage System (MTS)

Das MTS wurde im Jahre 1994 von der Manchester Triage Group in Großbritannien entwickelt (Klinger und Dormann 2019: 590).[20] Der Ansatz des MTS ist symptom basiert (vgl. Somasundaram et al. 2009 zitiert nach Hermann et al. 2017: 15).[21] Auf Basis eines ausgewählten Leitsymptoms werden allgemeine Informationen sowie indikationsspezifische Informationen abgefragt (ebd.).[22] Die hierarchische Systematik der Abfrage ermöglicht eine Einordnung in eine von fünf Dringlichkeitsstufen. Wir wir auf der Abbildung 1 sehen, wird mit Indikatoren der höchsten Dringlichkeitsstufe begonnen. Wird das Ergebnis eines Indikators positiv, also wird mit ja beantwortet, erfolgt die Zuordnung des Falles zu der jeweiligen Dringlichkeitsstufe (ebd.).[23]

Emergency Severity Index

Das ESI System wurde von Notfall Medizinern und Pflegenden an der Harvard Medical School, Boston, USA, Ende der 1990 Jahre entwickelt (Klinger und Dormann 2019: 591).[24] Bei dem ESI wird im Gegensatz zum MTS ein mehrstufiger Prozess benutzt (vgl. Somasundaram et al. 2009 zitiert nach Hermann et al. 2017: 15).[25] Das heißt, dass sich die ersten zwei Stufen eher darauf beziehen, ob lebensbedrohliche Erkrankungen oder Hochrisikosituationen identifiziert werden. Dann richtet sich das System auf „den voraussichtlich benötigten Ressourcenbedarf und das Verbleiben der Ressourcen zur Einteilung in die Stufen 3 bis 5“ (ebd.)aus.[26] Es bedeutet im Falle von Ressourcenknappheit organisiert dieses Triagesystem wer die Ressource bekommt und behandelt wird.

Triage System per Telefon

Ein weiteres, oft benutztes Triage System funktioniert über das Telefon. Die telefonische Ersteinschätzung ist bereits seit längerer Zeit Bestandteil der Notfallversorgung in vielen Gesundheitssystemen (Hermann et al.2017: 16).[27] Dieses System wurde und wird auch in der Corona-krise sehr viel benutzt (Bartsch und al. 21.03.2020).[28] Allein am Montag den 16.03.2020 bekam ein Callcenter ungefähr „165,000 inquiries“(ebd.).[29] Dieses System wird hauptsächlich genutzt, um erste Einschätzungen der Situation des Infizierten zu erhalten. Es werden nach Symptomen des Patienten gefragt, um zu wissen ob eine sofortige Versorgung notwendig ist. Mögliche Fragen in der Corona Krise wären: „"Were you in China, Italy, Iran or South Korea? Do you have fever, a cough and shortness of breath?“ (ebd.).[30] Problem dieser Triage Systeme ist aber, dass Sie nicht ermöglichen eine genaue Analyse zu bekommen, da der Arzt den Patient nicht vor Augen analysieren kann (Norfolk 2016: 423).[31]

Die Situation der Triage in Frankreich mit Covid 19

Autorin: Léa CESBRON

Priorisierung der Patienten und Organisationen regionaler Akteure: Beispiel der Grand Est und der Ile de France

In Frankreich ist die Verteilung der Coronavirus-Fälle sehr ungleichmäßig, und es sind zuerst die Regionen der Grand Est und dann die Ile de France, die massiv vom Virus befallen sind.

[32] Diese Karte stellt die vom INSEE zwischen dem 1. März und dem 12. Juni 2020 gemessene Übersterblichkeit dar, indem der Durchschnitt der in diesem Zeitraum beobachteten Todesfälle im Vergleich zum gleichen Zeitraum in den Jahren 2018 und 2019 verglichen wird.

Da den Krankenhäusern und medizinisch-sozialen Einrichtungen nicht genügend Ressourcen zur Verfügung standen (Masken, Beatmungsgeräte, Betten usw.) , mussten die Ärzte und die regionalen Gesundheitsbehörden die sogenannte „Agence Régionale de Santé ARS“ Prioritäten setzen. Deren Aufgabe darin bestand, die Auswahlkriterien für die Aufnahme oder Nichtaufnahme eines Patienten auf die Intensivstation festzulegen. In bestimmten Krankenhäusern, die sich in einer kritischen Situation auf dem Höhepunkt der Epidemie befanden, bestand das Ziel darin, "so viele Menschen wie möglich zu retten, die eine Überlebenschance haben", aber immer nach den folgenden Prinzipien :[33]


- Kollegialität (eine Entscheidung eines Arztes muss vom Gesundheitsteam unterstützt werden)

- Respekt für die Wünsche und Werte des Patienten

- Unter Berücksichtigung des vorherigen Zustands des Patienten: seine Fragilität, bewertet anhand der CFS-Skala - sein Alter (besonders bei Covid-Patienten zu berücksichtigen) - seine Komorbiditäten: schwer vs. stabilisiert, einfach vs. mehrfach - sein neurokognitiver Zustand: normale kognitive Funktionen, wenig oder sehr beeinträchtigt - die Kinetik der Verschlechterung seines Allgemeinzustandes während der letzten Monate

- Unter Berücksichtigung seines gegenwärtigen klinischen Schweregrades durch Bewertung der Anzahl der Organversagen zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung, einer der beteiligten Ärzte in dem sie den Patienten oder seine Familie hätten untersuchen und mit ihm oder seiner Familie gesprochen haben sollen: Atmung; Hämodynamik; Neurologisch: Glasgow-Score <12; Degradationskinetik organischer Ausfälle; Mögliche Verwendung der SOFA-Punktzahl

- Die Bewertung seines Komforts (Schmerz, Angst, Erregung ...)

- Die Garantie von Betreuung und Unterstützung für alle respektvoll gegenüber der Person und seiner Würde.



In Frankreich gab es Prozesse der Priorisierung von Patienten in den Regionen Grand Est und Ile de France im Hinblick auf den Zugang zur Intensivpflege und Reanimation. Der Begriff Triage wird jedoch nicht verwendet, um zu beschreiben, was passiert ist. Viele Artikel zeigen, dass sie eine Triage von Patienten vermieden haben, wenn es um das Leben der Patienten ging. Mit anderen Worten, sie waren in der Lage, den Strom der Patienten zu steuern, die nach dem Priorisierungsprozess (oben genannten Grundsätzen) zur Reanimation gehen mussten. So wurde der digitale Austausch von der Zeitung "l'Obs" wahrgenommen, in welche die Ärzte über die Entscheidungen sprechen, die sie treffen müssen, um den Zugang zur Intensivpflege einzuschränken:

"Die Wiederbelebung Betten in der Region sind gesättigt, und es ist unmöglich, Beatmungsgeräte zur Eröffnung neuer Wiederbelebung Stationen zu finden. Gestern habe ich ein Gremium von Spezialisten (Intensivstation, Infektionskrankheiten, Innere Medizin, Pneumologie, Geriatrie, Notarzt) zusammengebracht, um die Indikationen für die verschiedenen Kanäle festzulegen und die Kriterien (insbesondere das Alter) für die Einschränkung des Zugangs zur Intensivstation klarer zu definieren.” [34]

Nach diesen Kriterien wird dann mit dem Gesundheitsteam ein Entscheidungsprozess festgelegt, bei dem die persönlichen Daten des Patienten berücksichtigt werden.

Die oben genannten Prinzipien werfen viele der ethischen Fragen auf, die wir bereits im ersten Teil des WIKI diskutiert haben. Einige Ärzte weisen jedoch darauf hin, dass es bereits eine Sortierung und Priorisierung angesichts therapeutischer Entscheidungen gab, dass diese aber mit dieser Krise einfach massiver und sichtbarer ist.[35]

Wiederum laut der letzten SAE-Umfrage von 2018 (Annual Statistics of Health Establishments), die jedes Jahr vom Gesundheitsministerium durchgeführt wird, gab es 5.050 Intensiv-Betten in 2018 im Frankreich. Und nach dem Gesetzbuch über das öffentliche Gesundheitswesen entspricht ein Bett auf der Intensivstation einem Bett, aber auch einem Gerät zur Atemunterstützung (im Allgemeinen als Beatmungsgerät bezeichnet) und dem Pflegepersonal unter der Verantwortung einer Pflegekraft auf einem Niveau (mindestens) von zwei Krankenschwestern für je fünf Patienten und einem Pflegeassistenten für je vier Patienten.[36]

Im Falle einer Triage aufgrund fehlender Reanimation Betten für einen Patienten, dessen Profil für die Reanimation ausgewählt wurde, nennt die ARS der Ile de France drei Möglichkeiten :[37]

1°Verlegung in ein ungesättigtes Krankenhaus

In Frankreich, wie auch in China und Italien, als beschlossen wurde, Patienten, die auf Intensivstationen aufgenommen werden sollten, vorrangig zu behandeln, waren die Krankenhäuser manchmal mit einer unzureichenden Bettenzahl gesättigt, so dass eine gemeinsame Organisation der SAMU und der ARS notwendig war: die Zahl der Aufnahmen in Echtzeit zu regulieren und zu zählen, um Reisen in andere Krankenhäuser zu organisieren, die nicht gesättigt waren. In der Region Grand Est reichten Mitte März und trotz der Hilfe der Armee bei der Einrichtung provisorischer Militärkrankenhäuser die intraregionalen Transfers nicht mehr aus, da alle Betten belegt waren. Daher wurden einige Patienten nach Toulouse oder Marseille in den südlichen Regionen verlegt, um die Grand Est zu entlasten.

2° Verwendung eines degradierten Pflegemodus zur Optimierung der Patientenoxygenierung in verwandten Strukturen, aber im Falle dieser Krise würden solche Einrichtungen auch ohne die erforderliche Ausrüstung und zusätzliche Pflegeteams eine Sättigung erreichen.

3° Bumping, besteht darin, die Betreuung eines Patienten zu verkürzen, um Platz für einen anderen Patienten bei der Wiederbelebung zu schaffen. Diese Lösung fördert die frühe Extubation von Patienten und ihre Überführung in eine Zwischenstruktur (auch mit Relais mit hohem Sauerstofffluss) und erfordert, dass die Zeitlichkeit der Entscheidungsprozesse und die mögliche Einführung von Palliativpflege und familiärer Unterstützung respektiert werden. Was die Triage von Patienten in Frankreich betrifft, so zeigen die von Krankenhäusern und die ARS übermittelten Informationen bisher, dass es keine Triage wie in Italien mit Menschen gegeben hat, die intubiert werden sollten, aber nicht intubiert werden könnten. Nur der erste Prinzip von “Verlegung in ein ungesättigtes Krankenhaus” wurde benutzt. Es gab "Gewissensentscheidungen" in der Ile de France und in der Region Grand Est. So konnte das Schlimmste verhindert werden, aber es gab auch Hunderte von Patienten, die in andere Regionen verlegt wurden, weil Krankenhäuser und Intensivstationen überlastet waren.

Was die Triage von Patienten in Frankreich betrifft, so zeigen die von Krankenhäusern und die ARS übermittelten Informationen bisher, dass es keine Triage wie in Italien mit Menschen gegeben hat, die intubiert werden sollten, aber nicht intubiert werden könnten. Nur der erste Prinzip von “Verlegung in ein ungesättigtes Krankenhaus” wurde benutzt. Es gab "Gewissensentscheidungen" in der Ile de France und in der Region Grand Est. So konnte das Schlimmste verhindert werden, aber es gab auch Hunderte von Patienten, die in andere Regionen verlegt wurden, weil Krankenhäuser und Intensivstationen überlastet waren.[38]

Priorisierung der medizinisch-sozialen Einrichtungen (Alters und Pflegeheims/ Psychiatrie)

Wenn man im Hinblick auf die Gesundheits- und medizinisch-sozialen Einrichtungen nicht von "Triage" sprechen kann, so kann man hinsichtlich der den verschiedenen Einrichtungen zugewiesenen Ressourcen durchaus von einer politischen Prioritätensetzung sprechen. Einige Akteure im medizinisch-sozialen Bereich sprechen von einem "Staatsskandal" oder von einem Staatsausstieg mit der Verpflichtung, allein zu wirtschaften, ohne Anweisungen und ohne die Mittel, den Schutz der Patienten in der Geriatrie und Psychiatrie weiterhin zu gewährleisten. Der von Les Echos veröffentlichte Artikel über "Die Autonome Republik der Psychiatrie" berichtet unter anderem über die Auswirkungen der Pandemie auf das psychiatrische Krankenhaus von Ville Evrard in Seine Saint Denis, das aufgrund seiner Lage das von der Epidemie am stärksten betroffene psychiatrische Krankenhaus in Frankreich war. In diesem Artikel sprechen sie von einer Priorisierung des Staates nach der Art der Einrichtung: dies entspricht dem Triage-Schema: aufgrund fehlender Mittel müssen die Einrichtungen nach einer Rangfolge klassifiziert werden. Das Problem ist, dass eine solche Klassifizierung mehr Ungleichheiten zwischen den Patienten schafft, die nicht mehr als Individuen, sondern als Mitglieder einer Einrichtung betrachtet werden.

"Unsere Disziplin hatte für die Gesundheitsbehörden keine Priorität: Wir lagen an dritter Stelle hinter den Covid-Einheiten, den CHUs und vor den EHPADs. Wir hatten keine Schutzausrüstung und keine Empfehlungen, wie wir uns verhalten sollten, abgesehen von der Verpflichtung, unsere Tagesstätten zu schließen. » [39]

So stellt die in diesem Artikel beschriebene Priorisierung die EHPADs, Einrichtungen für pflegebedürftige ältere Menschen, an das Ende der Ressourcenkette, obwohl die Sterblichkeitsrate unter den älteren Menschen höher ist als in der übrigen Bevölkerung.

In Frankreich standen 700.000 private oder öffentliche Einrichtungen für ältere und abhängige Menschen an vorderster Front gegen das Virus. Die "Teil"-Zahlen über die Opfer des EHPAD-Virus wurden erst ab dem 2. April, d.h. fast zwei Monate nach Beginn der Krise, erfasst.[40] Die EHPADs hatten keine klaren Anweisungen des Ministeriums für Solidarität und Gesundheit, sie hätten einen Leitfaden mit Hinweisen zu Barrieremaßnahmen und zur Quarantäne potenziell infizierter Patienten erhalten, aber wichtige Entscheidungen mussten oft auf der Ebene der Leitung der Einrichtungen getroffen werden, und insbesondere die Lieferung von Masken war für diese Einrichtungen, denen angesichts des Mangels keine Priorität eingeräumt wurde, sehr kompliziert. Etwa 12 769 Menschen sind seit dem 1. März in einem Heim für ältere Angehörige an Covid gestorben.[41] Anfang März fanden mehrere nationale Maskenlieferungen für 37 Millionen Masken statt. Die Verwaltung dieser Lieferungen wurde auf der Ebene der regionalen Gesundheitsbehörden (ARS) und in Zusammenarbeit mit den Departements beschlossen, die manchmal die Verteilung der Masken je nach Einrichtung entscheiden und vornehmen mussten.[42]

So sind wir Zeugen großer Disparitäten, über die Geographie hinaus haben einige Einrichtungen beschlossen, das Pflegepersonal auf die Bewohner zu beschränken ( z.B. Bergeron Grenier in Charente), während andere diese außergewöhnlichen Maßnahmen nicht ergriffen haben. Da nicht alle Einrichtungen über die gleiche Grundausstattung verfügen (fehlendes Personal, laufende Renovierungen, wenige Quarantäneplätze usw.), hat das Fehlen direkter staatlicher Unterstützung aufgrund fehlender Mittel die Ungleichheiten auf der Ebene der sozialmedizinischen Einrichtungen vertieft.

Notfallsituation in Frankreich: das Ergebnis einer öffentlichen Gesundheitspolitik, die bereits eine indirekte Triage eingeführt hat?

Diese Krise hat unter anderem die Unterbesetzung einiger Krankenhäuser, die schlechte Verteilung der Ressourcen und die Ungleichheiten in der Versorgung, die von einer Abteilung zur anderen bestehen können, aufgezeigt. In Seine Saint Denis zum Beispiel war die Zahl der Beatmungsgeräte und Betten für eine bestimmte Einwohnerzahl dreimal niedriger als in Pariser Krankenhäusern.[43]

Was wir die Triage der medizinisch-sozialen Einrichtungen genannt haben, hat vor allem die bereits bestehende Prioritätensetzung im Bereich der öffentlichen Gesundheit und des Budgets hervorgehoben. Einige Artikel, wie das “Tribune”(Artikel), das von 13 gewählten Vertretern und Gesundheitsbeamten verfasst wurde, prangerten eine "krankhafte Gleichgültigkeit" des Staates gegenüber älteren Menschen an. Dieser Artikel prangert eine Politik an, die das französische Gesundheitssystem geschwächt hat und die als Folge dieser Politik heute nicht in der Lage ist, die älteren Menschen zu schützen. In diesem Artikel prangern gewählte Amtsträger und Führungskräfte des Gesundheitswesens eine Tragödie an, die sich hinter verschlossenen Türen abspielt, und prangern die Sortierung dieser alten Menschen an, die als zu alt und zu schwach angesehen werden, um zu versuchen, sie auf die Intensivstation zu bringen.[44]

Hier handelt es sich über das Krisenmanagement hinaus um ein ganzes Versorgungssystem, das auf einer Prioritätensetzung beruht. Eine solche Krise machte die Mängel im Bereich der medizinisch-sozialen Betreuung in Frankreich nur noch deutlicher. Marie-Sophie Desaulle, Präsidentin des Verbands der privaten Krankenhäuser und Einrichtungen für persönliche Hilfe (Fehap), vertraute sich den Journalisten von Le Monde an und meinte, dass die Regierung nicht der einzige Schuldige sei, dass es eine Art politische Tradition gäbe:

"Wann immer es eine Gesundheitskrise gibt, besteht der Reflex Frankreichs darin, den Gesundheitssektor und damit das Krankenhaus zu schützen. Umgekehrt berücksichtigen die nordischen Länder angelsächsischer Kultur, insbesondere Deutschland, zunächst die Situation gefährdeter Menschen»[45]

Schließlich wurden die Patienten auch indirekt priorisiert: nach der Pflegeeinrichtung, in der sie interniert waren.Tatsächlich sind etwas mehr als 43% der Menschen, die wegen Covid ins Krankenhaus eingeliefert werden, über 80 Jahre alt. Allerdings gibt es erhebliche regionale Unterschiede. In der Ile-de-France starben 20% der Einwohner von Ehpad, die Opfer des Covid waren, im Krankenhaus. Das sind 1.000 von ungefähr 5.000 seit dem 1. März. In den Hauts-de-France liegen sie bei etwa 40%. So war der Zugang zur Krankenhausversorgung auf der Intensivstation für die Bewohner von Ehpad nicht von Region zu Region gleich, in der Ile de France entschied man sich dafür, die Bewohner von Ehpad in den EHPADs zu behalten.[46]

Situation in Deutschland

Versorgungslage von Anfang März bis heute

Laut den letzten verfügbaren Zahlen des statistischen Bundesamts von 2017 stehen in den 1.942 Krankenhäusern Deutschlands insgesamt 28.031 Intensivbetten (ITS-Betten) zur Verfügung. Das entspricht 33,7 ITS-Betten pro 100.000 Einwohner.[47] Damit war die Ausgangslage in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Staaten zu Beginn der Pandemie relativ gut. Italien verfügt mit 12,5 ITS-Betten pro 100000 Einwohner*innen (Stand 2012) über weniger als die Hälfte der deutschen Kapazitäten. In den Niederlanden waren es im Jahr 2018 7,1 Betten.[48] Allerdings wird in Deutschland anders als in anderen Ländern die Auslastung der Intensivbetten nicht systematisch erfasst. Ende März begann die Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) ein Register anzulegen, in dem die Krankenhäuser auf zunächst auf freiwilliger Basis angeben konnten, wie viele Kapazitäten auf ihren Intensivstationen noch frei sind.[49] Seit dem 9. April ist die Meldung im "Intensivregister" verpflichtend für alle Kliniken bzw. Krankenhausstandorte, die Intensivbetten zur Akutbehandlung betreiben. Da im DIVI-Intensivregister jeweils nur die aktuellen Zahlen einsehbar sind, lässt sich aus diesen Daten kein zeitlicher Verlauf der Auslastung in Deutschland ableiten. Die Berliner Morgenpost stellt auf der Grundlage der Daten des Intensivregisters eine interaktive Karte zur Verfügung, aus der die Auslastung der Krankenhäuser in den einzelnen Regionen hervorgeht.[50] Die TU Berlin bietet eine Datenbank über die Anzahl von Patient*Innen, die in 18 europäischen Staaten stationär und im Krankenhaus behandelt werden.[51] Die Daten werden täglich aktualisiert.

Übernahme von Patient*innen aus anderen Staaten

Die Abschottung und nationalen Alleingänge der einzelnen EU-Staatem im Zuge der Corona-Pandemie wurden immer wieder kritisiert. Allerdings gab es auch einige Fälle von Solidaritätsbekundungen und gegenseitiger Unterstützung zwischen den EU-Staaten. Als Reaktion auf dei verschärfte Versorgungslage in den Nachbarstaaten erklärten sich mehrere deutsche Städte und Bundesländer bereit, schwerkranke Patient*innen aus Frankreich, Italien und den Niederlanden aufzunehmen. In zehn Bundesländern wurden 85 ITS-Betten für Patient*innen aus Italien reserviert und 95 ITS-Betten für Patient*innen aus Frankreich. Insgesamt wurden 44 Patient*innen aus Italien, 130 Patient*innen aus Frankreich und 46 Patient*innen aus den Niederlanden nach Deutschland überführt (Stand 18.06.).[52] Die Eine detaillierte Aufschlüsselung der medizinischen, ökonomischen und logistischen Hilfeleistungen von EU-Mitgliedsstaaten untereinander seit Beginn der Pandemie bietet der “European Solidarity Tracker” des Think Tanks European Council on Foreign Relations.

Zivilgesellschaftliche Debatte um Triage

In den Blickpunkt der Öffentlichkeit geriet das Thema Triage in Deutschland, als Ende März Berichte über die Überlastung der Gesundheitssysteme in Frankreich und Italien bekannt wurden. Besondere Aufmerksamkeit erregte ein Bericht, den das Deutsche Institut für Katastrophenmedizin im Auftrag der Landesregierung Baden-Württemberg über die Situation an der Universitätsklinik Straßburg geschrieben hatte. Dem Bericht zufolge wurden Patient*innen über 80 Jahren seit dem 21. März nicht mehr beatmet und stattdessen mit Opiaten und Schlafmitteln sediert. Um die Anzahl der Erkrankten zu stemmen, müssten auch mit dem Coronavirus infizierte Mediziner*innen und Pfleger*innen weiterarbeiten. Erst beim Auftreten von Symptomen sei es dem Personal gestattet, die Arbeit zu unterbrechen.[53] Die Universitätsklinik Straßburg widersprach der Darstellung des DIFKM und betonte, dass nicht alleine das Alter, sondern der Gesundheitszustand insgesamt entscheidend dafür sei, ob ein*e Patient*in weiter beatmet wird.[54] Außerdem seien bereits neue Intensivkapazitäten geschaffen worden. Das DIFKM nahm den Bericht zum Anlass, auch für deutsche Krankenhäuser bessere Vorbereitungen zu fordern. Auch die Empfehlungen der DIVI und weiterer medizinischer Fachgesellschaften (s. oben) über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall-und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie vom 25.03. wurden vor allem von Behindertenrechts-Aktivist*innen und -Verbänden sehr kritisch aufgenommen. Die NGO AbilityWatch sieht darin eine strukturelle Benachteiligung von Menschen mit Behinderung. besonders kritisch sieht AbilityWatch die Bezugnahme auf den )Clinical Frailty Scale (CFS, da hier Menschen über 65 Jahren anhand von äußeren Merkmalen in verschiedene Kategorien einsortiert werden, die am Ende zur Priorisierung von Patient*innen dienen. Menschen, die auf Unterstützung von dritten oder auf Rollstühle angewiesen sind, würden so automatisch in eine höhere Kategorie eingestuft werden und hätten damit geringere Chancen auf eine Behandlung. Die Kriterien des seien allerdings völlig unzulänglich und sagten nichts über die tatsächlichen Erfolgsaussichten einer intensivmedizinischen Behandlung aus. Damit widersprächen die Leitlinien dem Grundgesetz, das eine Abwägung von Leben gegen Leben verbietet. Als Reaktion auf die Kritik veröffentlichten die medizinischen Fachgesellschaften am 16.04. eine überarbeitete Version der Empfehlungen. Am 5. Mai haben die LIGA Selbstbestimmung, die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) und dem Forum behinderter Juristinnen und Juristen (FbJJ) den “Runden Tisch Triage” ins Leben gerufen, eine Online-Plattform, auf der über menschenrechtliche Grundsätze für die Zuweisung intensivmedizinischer und notfallmedizinischer Ressourcen diskutiert werden kann.


Einzelnachweise